
Einzelhalden in Jena profitiert vom Umweltverbund
Aktuelle Studien belegen, dass verkehrsberuhigte Innenstädte, die Förderung des Umweltverbundes und eine aktive Parkraumbewirtschaftung den Wirtschaftskraft des innerstädtischen Einzelhandelns stärken. Wir geben einen Überblick.
Aufenthaltsqualität schafft Umsatz
Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, wo sie lieber einen Kaffee trinken und entspannt shoppen gehen: In der Dornburger Straße (viel Autoverkehr), in der Johannesstraße (kleine Fußgängerzone), oder doch lieber in Erfurt auf dem Anger (große Fußgängerzone)? Die meisten werden ein Café am Straßenrand mit viel Autoverkehr ablehnen und lieber ein Café im Grünen oder zumindest in der Fußgängerzone aufsuchen. Derselbe Wirkmechanismus gilt für alle Einkaufsläden im städtischen Bereich – mit guter Aufenthaltsqualität ist der Umsatz besser, viele Studien in Deutschland und weltweit bestätigen das für Städte unterschiedlicher Größe:
Dass die Innenstadt in Jena (wie auch in fast allen anderen deutschen Städten) von vielen Menschen als unattraktiv empfunden wird, ist maßgeblich der geringen Aufenthaltsqualität anzulasten, wie eine Untersuchung der Stadt Jena selbst feststellte [5]. Um diese zu verbessern, muss die Innenstadt wieder auf die Menschen und ihre Bedürfnisse ausgerichtet werden. Dazu gehören Grünanlagen, die im Sommer Schatten spenden und die Luftqualität verbessern, öffentliche Sitzgelegenheiten, die zum Verweilen einladen, oder auch eine gute Mischung aus Einzelhandel, Gastronomie und kulturellen Einrichtungen.
Eine gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV ist nicht nur im Sinne der Umwelt, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit wichtig, damit alle Menschen gleichermaßen am öffentlichen Leben in der Innenstadt teilhaben können. Dafür könnten beispielsweise Taktverdichtungen in den Abendstunden sowie samstags sinnvoll sein. Für Menschen, die aus dem Umland nach Jena fahren möchten, sollten Park&Ride-Angebote geschaffen werden.
Nach wie vor wird jedoch der größte Teil des öffentlichen Raumes in der Innenstadt dem KFZ-Verkehr vorbehalten. Dieser beeinträchtigt die Aufenthaltsqualität durch Lärm, Abgase oder auch den großen Platzbedarf fahrender und parkender Fahrzeuge und sollte auf ein notwendiges Minimum reduziert werden.
In der Stadt- und Verkehrsplanung ist es längst Konsens, dass eine Verkehrsberuhigung zu lebenswerteren städtischen Zentren führt, in der sich die Menschen gerne aufhalten und einkaufen. Wir möchten deswegen die uns bekannten Studien zur Auswirkung von verkehrsberuhigten Innenstädten auf den örtlichen Einzelhandel auflisten und jeweils kurz zusammenfassen.
1. KFZ-Stellplätze vor Geschäften vermindern Umsätze[6]
Eine Studie der RWTH Aachen aus dem Jahr 2023 hat ergeben, dass KFZ-Stellplätze im Umkreis von 100m Geschäften schaden. Förderlich sind hingegen Parkmöglichkeiten in einer fußläufigen Distanz von 100 bis 500m Entfernung. Die Schlussfolgerung: Für die Geschäfte in der Innenstadt ist es vorteilhaft, Straßenparkplätze abzuschaffen und stattdessen auf einige zentrale Parkhäuser am Rand der Innenstadt zu setzen. Umsatzsteigernd sind hingegen eine gute ÖPNV-Erschließung sowie verkehrsberuhigte Bereiche vor den Geschäften.
2. Viele Gewerbetreibende unterschätzen die Bedeutung des Umweltverbundes am Umsatz[7]
Dr. Dirk von Schneidemesser vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Potsdam hat 2020 in einer repräsentativen Umfrage am Beispiel zweier Berliner Einkaufsstraßen festgestellt, dass lediglich knapp 7% der Kund*innen mit einem KFZ zum Einkaufen fahren. Ähnlich gering ist ihr Anteil am Umsatz der Geschäfte. Interessant ist vor allem, was die Gewerbetreibenden vermuteten: Sie gingen davon aus, dass etwa 22% der Kund*innen mit dem Auto kommen – und überschätzten dessen Bedeutung um das Dreifache, während sie die anderen Verkehrsarten unterschätzten. Einer der möglichen Gründe: Gut die Hälfte der Kund:innen wohnt im Umkreis von maximal einem Kilometer. Die Gewerbetreibenden vermuteten in dieser Nahdistanz lediglich 13%.
3. Radfahrende tragen einen größeren Anteil zum Umsatz bei als Autofahrende[8]
Die Fachhochschule Erfurt untersuchte, welche Auswirkung es hat, wenn Fußgängerzonen für den Radverkehr geöffnet werden. Mehrere Städte in ganz Deutschland wurden betrachtet, darunter auch Jena. Das Ergebnis: „Die erwartete Zunahme problematischer Verhaltensweisen bei den Radfahrenden nach der Fußgängerzonenfreigabe kann nicht nachgewiesen werden“ (S. 116). Diese Erkenntnis galt auch unabhängig davon, wie stark eine Fußgängerzone frequentiert war. Auch konnte kein Rückgang der Besuchshäufigkeit von Fußgänger:innen beobachtet werden.
Hervorzuheben ist zudem die Erkenntnis, dass der Einzelhandel profitiert, da Radfahrende einen höheren Jahresumsatz beisteuern als Kund:innen, die mit dem Auto kommen. So liegt der durchschnittliche Umsatz pro Person und Jahr bei 762 Euro, wenn die Kund:innen hauptsächlich zu Fuß zum Einkaufen kommen; 598 Euro bei jenen, die mit dem ÖPV anreisen, 569 Euro bei Radfahrenden sowie 477 Euro bei KFZ-Fahrer:innen.
4. Parkraumbewirtschaftung ist positiv für den Einzelhandel[9]
Wenn Parkplätze in der Innenstadt nicht kostenlos angeboten werden, nutzt dies dem Einzelhandel. Was zunächst nicht intuitiv wirkt, ist gemäß einer Analyse des Deutschen Instituts für Urbanistik in vielen Studien belegt worden. Der Grund ist, dass das Langzeitparken stark reduziert wird. Eine Parkraumbewirtschaftung sorgt dafür, dass Parkplätze kürzer genutzt und dadurch schneller wieder für die nächsten Kund:innen frei werden, welche nicht mehr so lange zur Parkplatzsuche benötigen. Dies dämmt auch regelwidriges Parken infolge fehlender freier Stellplätze messbar ein.
5. Für jeden Euro, der in den ÖPNV investiert wird, steigt die Wirtschaftskraft um drei bis fünf Euro[10]
Die MCube Consulting GmbH hat im Auftrag von „Zukunft Nahverkehr“ der DB Regio AG untersucht, welche Wertschöpfung durch den ÖPNV generiert wird. Das Ergebnis ist eindeutig: Mit 75 Milliarden Euro hat er 2020 das Dreifache seiner Kosten zur Wirtschaftskraft beigetragen. Durch weitere Investitionen von etwa 100 Milliarden Euro zwischen 2020 und 2030 könnte dieses Verhältnis sogar auf das Fünffache anwachsen. Auch für den innerstädtischen Einzelhandel ist ein gutes ÖPNV-Angebot enorm wichtig: Laut der Studie hängen im deutschen Einzelhandel etwa 143.000 Arbeitsplätze direkt sowie 38.000 indirekt am ÖPNV.
6. Studien decken sich im internationalen Vergleich
Auch international gibt es sehr viele Studien zur Auswirkung von Verkehrsberuhigung auf den innerstädtischen Einzelhandel. Wir haben uns bewusst auf Studien in Deutschland beschränkt, aber auch zahlreiche andere Untersuchungen von den USA bis nach Neuseeland liefern ähnliche Ergebnisse. Beispielhaft sei auf Analysen ausländischer Studien durch das Deutsche Institut für Urbanistik sowie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsgruppe Digitale Mobilität um Verkehrsforscher Prof. Dr. Andreas Knie verwiesen. [11]
[1] https://zukunftdeseinkaufens.de/autofreie-innenstaedte/; https://publications.rifs-potsdam.de/rest/items/item_6001855_2/component/file_6001871/content
[2] https://www.spiegel.de/auto/einzelhandel-parkplaetze-vor-der-ladentuer-sind-schlecht-fuers-geschaeft-studie-aus-aachen-a-c94e491e-1acc-40d7-84fe-b3e7ef6f75f0; https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0966692323002053?via%3Dihub
[3] https://www.klimareporter.de/verkehr/einzelhandel-im-irrtum-das-auto-bringt-nicht-den-umsatz
[4] https://www.zukunftnahverkehr.de/wirtschaftsfaktor/
[5] Einkaufen in Jena - OpenData Jena (2015)
[6] Kuhnimhof, Tobias; Merten, Laura: Impacts of parking and accessibility on retail-oriented city centres. Journal of Transport Geography, Volume 113; Elsevier B.V., Amsterdam (Niederlande), 2023. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0966692323002053; Rezipiert u.a. in: https://www.spiegel.de/auto/einzelhandel-parkplaetze-vor-der-ladentuer-sind-schlecht-fuers-geschaeft-studie-aus-aachen-a-c94e491e-1acc-40d7-84fe-b3e7ef6f75f0; https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/aachen-parkplaetze-innenstadt-studie-102.html
[7] Von Schneidemesser, Dirk: Einkauf und Verkehr – tatsächliche Verkehrsmittelwahl der Besucher:innen von Einkaufsstraßen im Vergleich zu Einschätzungen von Einzelhändler:innen. Buchkapitel in: Handbuch der kommunalen Verkehrsplanung. VDE Verlag, Berlin/Offenbach, 2022. https://publications.rifs-potsdam.de/rest/items/item_6001855_2/component/file_6001871/content; Rezipiert u.a. in: https://zukunftdeseinkaufens.de/autofreie-innenstaedte/; https://www.spiegel.de/auto/verkehrswende-in-den-innenstaedten-wer-hat-angst-vor-der-autofreien-city-a-9cd2bd2c-7fac-493c-a3c1-3d843b072c96
[8] Böhmer, Juliane; Große, Christine: Radverkehr in Fußgängerzonen. Endbericht des NRVP-Forschungsprojektes „Mit dem Rad zum Einkauf in die Innenstadt“. Fachhochschule Erfurt, Erfurt, 2019. https://www.fh-erfurt.de/fileadmin/Bilder/Seitenbereiche/Fakultaeten/WLV/ Forschung/RADSAM/190925_Endbericht-RadverkInFuzos_final.pdf; Rezipiert u.a. in: https://www.zeit.de/mobilitaet/2023-05/parkplaetze-innenstaedte-autoverkehr-einzelhandel
[9] Bauer, Uta; Christ, Michaela; Sönksen, Levke; Pfitzinger, Louis Gabriel: Verkehrsberuhigung und Einzelhandel: Dann wird’s laut. Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, 2025. https://repository.difu.de/items/6923bdbc-aedf-44de-9470-a3ac8bae2c77; Rezipiert u.a. in: https://www.mdr.de/wissen/umwelt-klima/Verkehrsberuhigung-auch-gut-fuer-den-Einzelhandel-100.html
[10] Schröder, Daniel et al.: Abschlussbericht Wertschöpfung ÖPNV. Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen (MCube) Consulting GmbH, München, 2025. https://www.zukunftnahverkehr.de/wp-content/uploads/2025/05/MCube_WertschoepfungOePNV_Abschlussbericht.pdf; Rezipiert u.a. in: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/oeffentlicher-nahverkehr-kosten-leistungen-100.html; https://www.zdfheute.de/wirtschaft/nahverkehr-kosten-hoher-nutzen-100.html; https://www.zeit.de/news/2025-05/15/studie-oepnv-leistet-wirtschaftlich-viel-mehr-als-er-kostet
[11] https://repository.difu.de/items/6923bdbc-aedf-44de-9470-a3ac8bae2c77; https://www.zukunft-nachhaltige-mobilitaet.de/wp-content/uploads/2024/03/Hintergrundpapier-Nr.-1_Der-lokale-Einzelhandel-und-die-Verkehrswende.pdf; https://wzb.eu/de/forschung/digitalisierung-und-gesellschaftlicher-wandel/digitale-mobilitaet/publikationen